Volksgemeinschaft 2.0 – Jetzt auch in Flecktarn!

Oberst Stephan Behrenz, frisch ernannter Brigadegeneral und Vertreter der „Niedersachsenbrigade“, äußerte im NDR-Interview vom 02.10.2025 1, Verteidigung sei „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass die Bundeswehr ihre Rolle nicht nur militärisch, sondern auch gesellschaftlich erklärt – die Interpretation bleibt kritisch zu prüfen.

Behrenz spricht von rund 5.300 Soldat*innen mit Panzern, Drohnen und „Sinnstiftung“ – während er die Zivilbevölkerung anspricht, die sich wieder auf den Ernstfall vorbereiten soll. Diese Zahl entspricht der geplanten Aufstockung der Bundeswehr um 5.000 Soldaten bis 2025, wie von Reuters berichtet. 2

Auf was eigentlich? Auf einen „Ernstfall“, der seit Jahren medial propagiert wird? Auf die Rückkehr einer stärker regional ausgerichteten Landesverteidigung, die in Teilen nostalgische Anklänge an frühere Kriege aufweist? Während sich die Republik an den Anblick marschierender Kolonnen gewöhnt, wandert auch die ideologische Sprache mit.

Die „neue Wehrtüchtigkeit“ lässt sich rhetorisch als Nationalismus in Tarnfarbe interpretieren – diesmal inklusive Genderstern. Zwischen „Resilienz“ und „Verantwortung“ entsteht ein Diskurs, der Militarismus eher als Tugend erscheinen lässt. Die ökonomischen Interessen der Rüstungsindustrie werden dabei kaum thematisiert.

Plötzlich klingt „Landesverteidigung“ nach Volksgemeinschaft 3, Ehre und Opferbereitschaft – Begriffe, die historisch stark auf Kriegspropaganda zurückgehen. Heute heißt es anders: „europäische Sicherheitsarchitektur“. Inhaltlich geht es um Machtprojektion und strategische Interessen, weniger um die reine Sicherheit der Bevölkerung.

Behrenz fordert „gesellschaftliche Resilienz“, was als politisches Ziel kritisch geprüft werden muss: In welchem Maße wird damit die kritische Distanz der Bevölkerung eingeschränkt? Wer soll tatsächlich geschützt werden – die Bevölkerung, oder ökonomische und strategische Interessen?

  • „Aufwuchs“ – Metaphern entschärft

Behrenz spricht von einem „Aufwuchs“ der Streitkräfte. Das Bild suggeriert Wachstum als natürliches Phänomen. Tatsächlich handelt es sich um politisch und ökonomisch gesteuerte Aufrüstung, die geplant und finanziert wird. Allein nach Niedersachsen fließen im Rahmen des „Bundeswehr-Bauprogramms Unterkünfte“ in den nächsten Jahren 6,4 Milliarden Euro – in rund 430 Bauvorhaben an 35 Standorten. 4

In Niedersachsen soll dieser Ausbau eine erhebliche Rolle spielen. Infrastruktur, Kulturförderung und Bildung stehen in Konkurrenz zu Rüstungsausgaben – mögliche Verteilungskonflikte sollten transparent dargestellt werden. Der Haushaltsplanentwurf 2026 des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur setzt klare Akzente in der politischen Bildung, Kulturförderung und Sprachvermittlung 5 mwk.niedersachsen.de. Die ökonomischen Profiteure sind oft Unternehmen der Sicherheitsindustrie, nicht die Landwirt*innen oder Pflegekräfte.

  1. Flexibilität und Innovation: Differenzierte Betrachtung

Behrenz erklärt, dass Planungssicherheit „von gestern“ sei, Flexibilität und Innovation seien gefragt. Übersetzt bedeutet das: Unsicherheit ist gewollt, und die Streitkräfte sollen agil auf unklare Szenarien reagieren. „Innovation“ bedeutet in der Praxis oft die Verlagerung militärischer Funktionen in die Hände privater Akteurinnen. Rüstungsfirmen entwickeln neue Technologien, die später staatlich eingesetzt werden. Flexibilität betrifft nicht nur Organisation, sondern auch die sozialen Bedingungen der Soldatinnen: kurzfristige Einsätze, austauschbare Verträge und reduzierte Planungssicherheit im Alltag.

Das bedeutet nicht automatisch, dass die Bevölkerung bedroht wird; vielmehr wird Krieg als gesellschaftliches und wirtschaftliches Projekt normalisiert. Die Interpretation sollte differenziert bleiben: Es handelt sich um strukturelle Prozesse, nicht um monolithische Absichten.

  1. Fazit: Militarismus und gesellschaftliche Debatte

Behrenz’ Botschaft zeigt, dass militärische Normalität wieder stärker betont wird. „Sicherheit“ wird als gesellschaftliche Aufgabe inszeniert, Patriotismus als staatsräsonkonforme Haltung. Die Sprache der Bedrohung prägt das Denken und kann die öffentliche Debatte beeinflussen. Historische Vergleiche mit Volksgemeinschaft und Kriegspropaganda sollten vorsichtig eingesetzt werden – als warnende Parallele, nicht als Identität.

Heute tragen Militarismus und Aufrüstung neue Labels: Genderstern, Diversity-Logo, Nachhaltigkeitssiegel. Modernisiert, aber in der Essenz bleibt es um Disziplin, Gehorsam und Machtprojektion. Die Debatte über Militarisierung muss kritisch geführt werden, Belege und Fakten prüfen, gesellschaftliche und ökonomische Interessen analysieren – nicht nur rhetorische Bilder.

  1. Kommandeur Behrenz: Verteidigung muss auch aus der Zivilbevölkerung kommen
  2. Reuters.
  3. Bundesstelle für politische Bildung: Volksgemeinschaft
  4. CZ – Cellesche Zeitung
  5. mwk.niedersachsen.de

Autor: Ian Nadge

Hinweis: Dieser Beitrag stellt die Meinung der Autor*in dar und muss nicht mit den Positionen der AKL Niedersachsen übereinstimmen.

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