No-Kings Day – Wie die Demokratie der Reichen gegen die Straße verliert

Ein Beitrag von Ivan Neklidny

Einleitung

Am 18. Oktober erhoben sich in den Vereinigten Staaten 7 Millionen Menschen in über 2.700 Städten – eine bunte, wütende, entschlossene Menge unter einem Banner, das so schlicht wie unmissverständlich war: „No Kings“. Man könnte fast lachen, wenn die Situation nicht so bitterernst wäre – in jenem Land, das sich seit 1776 auf seine „Befreiung vom König“ beruft, braucht es heute wieder Demonstrationen, um genau das einzufordern: keine Könige. Keine Könige in Palästen, keine in Chefetagen, keine in Uniform.

Ironischerweise sind die USA längst ein Monarchismus ohne Krone geworden: ein feudales Spektakel aus Tech-Oligarchen, Militärromantik, Präsidentenkult und Polizeigewalt – eine Gesellschaft, die lieber einem Milliardär auf Twitter huldigt als einer streikenden Arbeiterin zuzuhören.

Die 3,5 %-Regel und ihre Grenzen

Die Medien erklärten die Proteste für „symbolisch“ und „unrealistisch“. Doch Aktivist*innen verweisen auf die sogenannte 3,5 %-Regel: jene empirische Beobachtung, dass gewaltfreie Bewegungen, die mindestens 3,5 % der Bevölkerung mobilisieren, Regime ernsthaft ins Wanken bringen können – vorausgesetzt, sie sind gut organisiert und politisch kohärent. Millionen – das klingt nach historischer Möglichkeit. Doch reine Zahlen ersetzen keine Klassenorganisation. Die 3,5 % bleiben ohne politisches Bewusstsein nur Statistik, kein Aufstand. Was in der bürgerlichen Demokratie wie eine Schwelle zur Macht erscheint, bleibt ohne strategische Struktur ein Spektakel der Ohnmacht: bewegend, aber domestizierbar.

Von der Bewegung zur Klasse

Die „No Kings“-Proteste sind keine jugendliche Geste, sondern ein instinktiver Aufstand gegen den autoritären Kapitalismus, der die Demokratie längst zur Bühne der Reichen gemacht hat.

Hier, inmitten von Pappschildern, TikTok-Livestreams und improvisierten Reden, beginnt die „Klasse an sich“ – die diffuse Unzufriedenheit über Milliardärsmacht – sich in eine „Klasse für sich“ zu verwandeln: eine Bewegung, die das System selbst infrage stellt.

Zwischen ironischen Memes und ernstem Zorn blitzt kurz auf, was Talkshows seit Jahrzehnten verdrängen: dass die Frage nach Freiheit und Demokratie am Ende nichts anderes ist als die Frage nach Macht und Eigentum.

Autoritarismus, Kapital und das Königsspiel

Trump ist kein Betriebsunfall, sondern die groteske Fratze eines Systems, das seine Klassenherrschaft nicht mehr hinter dem Vorhang der Demokratie verstecken kann. Der Kapitalismus braucht keine Krone, um königlich zu herrschen – er reproduziert Monarchie in der Form seiner Machtverhältnisse.

Marx hätte gesagt: Der Fetisch des Kapitals betritt die Bühne. Und Trump ist seine Clownsmaske.

Der autoritäre Kapitalismus der Gegenwart benötigt keine Diktatur im klassischen Sinn. Er organisiert Zustimmung durch Angst, Konsum und algorithmische Kontrolle – eine sanfte Tyrannei, die Widerspruch kanalisiert, bevor er gefährlich wird.

Wenn die Profite sinken, entdeckt die Bourgeoisie ihre Liebe zur Ordnung. Der Faschismus, schrieb Clara Zetkin, sei die „Reservearmee des Kapitals in der Krise“ – heute zeigt er sich digitalisiert und markenkompatibel.

Die bürgerliche Falle

Gewerkschaften, NGOs und liberale Parteien präsentieren sich als Vermittler*innen zwischen Protest und Politik – tatsächlich sind sie Puffer zwischen Ausbeutung und Aufstand.

Rosa Luxemburg warnte, dass Organisationen, die sich einst als Werkzeuge der Befreiung begriffen, in Krisenzeiten leicht zu „Steigbügelhaltern der Reaktion“ werden. Von der SPD 1918 bis zu heutigen NGOs, die jeden Angriff auf Eigentum als „unverantwortlich“ verurteilen, zieht sich dieselbe Linie:
Die bürgerliche Demokratie schützt nicht vor Herrschaft – sie organisiert sie effizienter.

So wird Widerstand in Kampagnenform gegossen, Entschlossenheit in Hashtags verwandelt. Die „bürgerliche Falle“ besteht nicht darin, dass Protest verboten wird, sondern dass er erlaubt wird – solange er folgenlos bleibt.

Materialistischer Antifaschismus

„No Kings“ ist mehr als Anti-Trump. Es ist ein antifaschistischer Impuls, der sich aus der sozialen Realität der Ausgebeuteten speist – ein materialistischer Antifaschismus, der den Faschismus nicht moralisch verurteilt, sondern ökonomisch erklärt.

Der Faschismus ist keine Perversion, sondern die Selbstverteidigung des Kapitals gegen seine eigene Krise. Wenn die Demokratie der Reichen wankt, ruft sie nach der Faust des Staates.

Der materialistische Antifaschismus antwortet darauf nicht mit Appellen an Toleranz, sondern mit Organisation. Er erkennt im Faschismus nicht den „Feind der Demokratie“, sondern den Schutzmechanismus des herrschenden Systems. Und er weiß: Die Verteidigung der Freiheit beginnt dort, wo die Produktionsverhältnisse berührt werden.

Und Deutschland?

Auch in Deutschland konzentriert sich die politische Macht stark bei den wirtschaftlich Mächtigen. Lobbyismus, Konzernmacht und Einfluss auf Politik zeigen, dass demokratische Institutionen nicht automatisch Schutz vor ökonomischer Herrschaft bieten.

Die Bewegung verdeutlicht, dass breite Massenmobilisierung wirksam sein kann, wenn sie strategisch organisiert ist. Streiks, Demonstrationen und soziale Bewegungen können auch in Deutschland Druck machen – jenseits symbolischer Gesten.

Antifaschistische oder demokratische Bewegungen werden nur dann nachhaltig, wenn sie ökonomische Machtstrukturen hinterfragen: Prekarisierung, Lohnungleichheit oder Machtkonzentration in Konzernen müssen thematisiert werden.

Liberale Institutionen, NGOs oder Gewerkschaften können Protest neutralisieren, ohne die ökonomischen Strukturen zu verändern. Eigenständige, organisierte Bewegungen sind entscheidend, um echten politischen Einfluss zu gewinnen.

Die US-Proteste zeigen: Massenmobilisierung ist möglich und kann reale Veränderungen erzwingen. Dies kann auch in Deutschland Mut machen, strategisch organisierte Bewegungen aufzubauen, die die politische und ökonomische Macht infrage stellen.

Fazit

Die Straße bleibt der Ort der politischen Wahrheit. Nicht Parlamente, Talkshows oder Thinktanks, sondern die kollektive Bewegung der Vielen zeigt, dass Veränderung möglich ist.

Ein materialistischer Antifaschismus begreift, dass der Kampf gegen Autoritarismus nur als Kampf gegen Kapitalismus geführt werden kann. Er richtet sich gegen die ökonomischen Fundamente der Herrschaft – dort, wo Arbeit ausgebeutet und Macht produziert wird.

Revolution beginnt, wenn das Gedächtnis der Unterdrückten laut wird – vielleicht genau dort, wo sonst die Werbeschilder von Burger King leuchten.
Die „No Kings“-Proteste sind ein Symptom historischer Möglichkeit: Eine Bewegung, die heute gegen Autoritarismus kämpft, kann morgen gegen die Eigentumsordnung selbst stehen.
Die Herrschenden wissen das – und fürchten weniger die Parolen als das, was dahintersteht: eine Klasse, die beginnt, sich ihrer Macht bewusst zu werden.

Die 3,5 %-Regel besagt, dass gewaltfreie Proteste von mindestens 3,5 % der Bevölkerung ausreichen, um ein Regime ernsthaft zu destabilisieren, vorausgesetzt, sie sind gut organisiert und politisch kohärent. (Wikipedia) In den USA entspräche das über 11 Millionen Menschen. Die „No Kings“-Proteste in den Vereinigten Staaten waren ein deutlicher Schritt in diese Richtung.

Die Proteste am 28. Oktober, an denen laut Veranstalter über 7 Millionen Menschen teilnahmen, sind also mehr als nur symbolische Empörung: Sie markieren den Übergang von spontaner Entrüstung zu potenziell hegemonialer Bewegung – ein Moment, in dem quantitative Masse in politische Qualität umschlagen kann. Oder, in marxistischer Terminologie: Hier beginnt die „Klasse an sich“ – die diffuse Unzufriedenheit mit der Macht der Milliardär*innen – sich in eine „Klasse für sich“ zu verwandeln, die das System der Herrschaft selbst infrage stellt.

Autor: Ivan Neklidny

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind außschlieslich die der*des Autor*in und müssen nicht notwendigerweise die Meinungen der AKL-NDS widerspiegeln.

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