Das Massaker von Paris am 17. Oktober 1961 ist nicht nur eine blutige Episode kolonialer Gewalt – es ist ein Mahnmal dafür, wie eng Rassismus, Kapitalismus und staatliche Repression miteinander verflochten sind. An diesem Tag, inmitten der Algerienkrise, gingen französische Polizistinnen unter dem Befehl des damaligen Präfekten Maurice Papon gegen eine friedliche Demonstration algerischer Arbeiterinnen vor. Hunderte wurden getötet, viele in die Seine geworfen, andere verschleppt und gefoltert. Die französische Staatsmaschinerie inszenierte einen systematischen Terrorakt gegen Menschen, die als „anders“ und als Bedrohung für die bestehende Ordnung stigmatisiert wurden.
Für uns als linksradikale Kräfte ist die Erinnerung daran kein nostalgisches Gedenken: Sie ist ein politisches Werkzeug. Sie zeigt, dass der Staat nicht neutral ist, sondern die Interessen der herrschenden Klasse mit allen Mitteln verteidigt – selbst durch Massenmord und Verschleierung. Die Täter*innen wurden lange Zeit gedeckt, die Geschichte verschwiegen; erst Jahrzehnte später begann ein Teil der Wahrheit ans Licht zu kommen.
Der 17. Oktober 1961 ist außerdem ein eindringliches Beispiel dafür, wie eng Rassismus und Klassenunterdrückung verknüpft sind. Die Opfer waren überwiegend algerische Arbeiter*innen – migrantische Menschen, deren Arbeitskraft das französische Kapital ausbeutete, deren Leben aber von der weißen Mehrheitsgesellschaft als entbehrlich betrachtet wurde. Der Kapitalismus kennt keine Moral, und der Staat schützt die Interessen der Bourgeoisie mit Gewalt, wenn nötig.
Und diese Mechanismen sind heute noch aktuell. In Frankreich wie in vielen anderen Ländern weltweit erleben migrantische Communities und Arme tagtäglich Polizeigewalt, Überwachung und strukturelle Diskriminierung. In den USA werden Menschen of Color systematisch kriminalisiert; in Europa werden Geflüchtete an den Grenzen drangsaliert oder in Lagern eingesperrt. In Ländern wie Palästina, Myanmar oder in den Konfliktgebieten Afrikas sehen wir, wie Staat und Kapitalinteressen mit brutaler Gewalt durchgesetzt werden – von Unterdrückung der Bevölkerung bis zu gezielten Angriffen auf Widerstandsbewegungen.
Sich an den 17. Oktober zu erinnern heißt, die Mechanismen von Unterdrückung zu durchschauen und die Kontinuitäten kolonialer und kapitalistischer Gewalt bis in die Gegenwart zu erkennen. Erinnerung ist Waffe: Sie mobilisiert gegen Ungerechtigkeit, schärft den Blick für Klassenkampf und Antiimperialismus, und verweigert sich der Verharmlosung staatlicher Gewalt.
Fazit: Wer das Massaker vergisst, macht sich mitschuldig am Schweigen, das Gewalt schützt. Wer sich erinnert, versteht, dass echter Antirassismus und Klassenkampf untrennbar verbunden sind – und dass der Kampf gegen den Staat als Instrument der Unterdrückung heute genauso notwendig ist wie vor 60 Jahren.
Autor: Ian Nadge
Hinweis: Dieser Beitrag stellt die Meinung der Autor*in dar und muss nicht mit den Positionen der AKL Niedersachsen übereinstimmen.

