Seit Lia Beckers Essay Der Horizont eines sozialen Antifaschismus in der Zeitschrift LuXemburg wirrt der Begriff des sogenannten „sozialen Antifaschismus“ durch die linke Szene – als hätte jemand endlich den fehlenden Schlüssel zwischen Kapitalismuskritik und Bündnispolitik gefunden. In Wirklichkeit handelt es sich um die strategische Neuverpackung altbekannter reformistischer Rezepte: Statt den Faschismus, also den immer weiter greifenden Rechtsruck auf der einen Seite und den autoritären Umbau der Gesellschaft auf der anderen, als spezifischen Krisenmodus des neoliberalen Herrschaftsmodels zu begreifen, wird er zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Übel erklärt, das sich durch „breite Bündnisse“ und die moralische Aufladung sozialer Fragen bekämpfen lasse. Der Fokus auf „soziale Dimensionen“ mag progressiv klingen, ersetzt jedoch Klassenanalyse durch eine beliebige Aufzählung von Unterdrückungsformen, die sich bruchlos in die Logik von NGOs und parlamentarischen Parteien einfügt.
Historisch erinnert dieser Ansatz fatal an die „Volksfront“-Strategien der 1930er Jahre, mit denen linke Parteien weltweit Bündnisse mit gemäßigten und bürgerlichen Kräften gegen den aufkommenden Faschismus und Nationalsozialismus schmiedeten. Faktisch bedeutete dies die Preisgabe einer eigenständigen revolutionären Perspektive zugunsten einer gemeinsamen Minimalpolitik – oft mit der SPD, die wenige Jahre zuvor noch aktiv an der Zerschlagung der revolutionären Arbeiter*innenbewegung mitgewirkt hatte. Das Resultat war ein politischer Formelkompromiss, der zwar antifaschistische Rhetorik pflegte, aber den kapitalistischen Staat unangetastet ließ. Auch die SPD der Weimarer Republik praktizierte einen „sozialen“ Antifaschismus, der auf parlamentarische Mehrheiten, Sozialreformen und Bündnisse mit bürgerlichen Kräften setzte – und am Ende hilflos der faschistischen Machtübernahme zusah.
Was unter dem Label „sozial“ verhandelt wird, ist heute so weit gefasst, dass es problemlos von reformistischen Parteien, staatlich geförderten Projekten und liberalen Bewegungen vereinnahmt werden kann. Heraus kommt ein Konstrukt, das brav innerhalb der bürgerlichen Ordnung agiert, deren Eigentumsverhältnisse aber unangetastet lässt – und so der gesellschaftlichen Basis des Faschismus keinen Kratzer zufügt.
Demgegenüber steht der materialistische Antifaschismus, der Faschismus nicht als abstraktes Übel der Gesellschaft, sondern als Produkt konkreter ökonomischer und gesellschaftlicher Verhältnisse begreift. Er strebt nicht nach kosmetischer Korrektur, moralischer Aufladung oder NGO-kompatiblen Symbolbündnissen, sondern nach der Überwindung jener Strukturen, die Faschismus immer wieder hervorbringen. Ernst Thälmann brachte es auf den Punkt: „Der Kampf gegen den Faschismus ist untrennbar mit dem Kampf gegen die Macht des Monopolkapitals. Wer diesen Zusammenhang trennt, entwaffnet die Arbeiterklasse.“ Anders als der heutige „soziale Antifaschismus“, der auf Wohlfühlbündnisse mit Sozialverbänden, NGOs oder reformistischen Parteien setzt und Klassenanalyse durch beliebige Aufzählung von Unterdrückungsformen ersetzt, zielt materialistischer Antifaschismus auf die Wurzel des Problems: die Machtverhältnisse selbst.
Faschismus ist hier keine abstrakte Bedrohung, sondern der logische Ausfluss von Klassengegensätzen und kapitalistischen Krisen, die autoritäre Strukturen und Sündenböcke schaffen. Beispiele dafür liefert die Weimarer Republik: Die Weltwirtschaftskrise von 1929 verschärfte Massenarbeitslosigkeit und Armut, wodurch die NSDAP rassistische und antisemitische Sündenböcke propagieren konnte, während die herrschende Klasse und Industrievertreter zunehmend auf autoritäre Kräfte setzten, um die Arbeiter*innenbewegung zu zerschlagen. Wer Faschismus wirksam bekämpfen will, muss die materielle Basis angreifen – Produktionsverhältnisse, Eigentumsstrukturen, ökonomische Macht – nicht nur rhetorisch oder symbolisch. Der materialistische Antifaschismus mobilisiert die gesellschaftliche Mehrheit gegen die Ursachen des Faschismus, wie es die KPD in den 1920er und 1930er Jahren mit Propaganda für Klassenkampf und Streiks versuchte, statt ihn in reformistische „Koalitionen gegen das Übel“ zu verflachen, die letztlich die kapitalistischen Machtverhältnisse unangetastet ließen. Auch international zeigen Beispiele wie der spanische Bürgerkrieg, wie die Verbindung von sozialen Konflikten und Antifaschismus zur realen Verteidigung der demokratischen und sozialen Errungenschaften beitrug – ein Ansatz, der moralischen oder symbolischen „sozialen Antifaschismus“ weit überlegen war.
Ziel ist nicht die harmlose Pflege sozialer Projekte, sondern die radikale Transformation der Gesellschaft hin zu Gleichheit, Gerechtigkeit und demokratischer Selbstbestimmung. Historisch hat dieser Ansatz in linken Bewegungen Wirkung gezeigt: Wo Klassenkampf und Antifaschismus verbunden wurden, konnte die Arbeiter*innenklasse aktiv gegen die Faschisierung der Gesellschaft mobilisiert werden – im Gegensatz zu den bloßen Lippenbekenntnissen heutiger NGO-kompatibler Bündnisse, die den Kapitalismus unangetastet lassen.
Ziel ist nicht die harmlose Pflege sozialer Projekte oder das Kuscheln in NGO-kompatiblen Bündnissen, sondern die radikale Transformation der Gesellschaft hin zu Gleichheit, Gerechtigkeit und demokratischer Selbstbestimmung. Historisch hat dieser Ansatz in linken Bewegungen seine Wirksamkeit bewiesen: Wo soziale Konflikte und Antifaschismus verbunden wurden, konnte die Arbeiter*innenklasse aktiv gegen die Faschisierung der Gesellschaft mobilisiert werden – im Gegensatz zu den bloßen Lippenbekenntnissen heutiger „sozialer“ Bündnisse, die den Kapitalismus unangetastet lassen und den Faschismus damit nur kosmetisch bekämpfen.
Wer sich heute mit sozialem Antifaschismus begnügt, betrügt die eigenen Interessen: Er vertreibt den Faschismus nicht aus der Gesellschaft, sondern kaschiert ihn mit moralischen Manövern und symbolischen Projekten. Wer ernsthaft Antifaschismus will, darf sich nicht in NGOs, Parlamentarismus und „Breitband-Bündnissen“ verlieren, sondern muss die kapitalistischen Strukturen attackieren, die Faschismus erst möglich machen. Materialistischer Antifaschismus ist nicht nett, er ist wirksam, und essentiell notwendig – und wer ihn verweigert, bereitet die Bühne für die nächste Welle autoritärer Gewalt.
Autor: Ian Nadge
Hinweis: Dieser Beitrag stellt die Meinung der Autor*in dar und muss nicht mit den Positionen der AKL Niedersachsen übereinstimmen.

