Ein Beitrag von Lif Bungardt
Energiekrise durch Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, Klimakrise und strukturelle Probleme der Energiewende lassen sich nicht isoliert voneinander betrachten – sie sind Ausdruck der kapitalistischen Logik von Profitmaximierung und Wachstum, die über ökologische und gesellschaftliche Notwendigkeiten gestellt wird. Systemimmanente Verflechtungen zwischen Politik, Industrie und Lobbyismus sorgen dafür, dass fossile Projekte weiter finanziert und Gaskraftwerke gebaut, während notwendige Infrastrukturprojekte der Energiewende gezielt ausgebremst werden. Die Energiewende ist längst offener Klassenkampf – zwischen denen, die Profite sichern wollen, und denen, die für eine gerechte, nachhaltige Zukunft kämpfen.
Die Studie „Pipelines in die Politik – Die Macht der Gaslobby in Deutschland“ von LobbyControl (2023) zeigt eindrücklich, wie mächtig die Gaslobby in Deutschland ist und wie Energiekonzerne wie Uniper, RWE und E.ON ihre kapitalistischen Interessen in der Politik durchsetzen.
Ihre Strategie: Schlüsselnarrative wie Technologieoffenheit, Brückentechnologie und das Framing „grüne, kohlenstoffarme oder dekarbonisierte Gase“ werden verwendet, um Gas als unverzichtbaren Übergangsenergieträger zu inszenieren und damit bestehende Geschäftsmodelle möglichst lange profitabel zu halten. Lobbyverbände gaben laut dem deutschen Lobbyregister im Jahr 2021 mindestens 40 Millionen Euro aus, um Gas als alternativlose Energietechnologie positionieren zu lassen. Im Gegensatz dazu stehen lediglich 1,55 Millionen Euro der drei führenden Umweltverbände Greenpeace, DUH und BUND, die sich ebenfalls in die Debatte um die Rolle von Gas eingebracht haben.
Ein zentrales Narrativ der Gaslobby ist die absurde Behauptung, Erdgas sei ein „sauberer(er)“ Energieträger – so, als wäre ein fossiler Brennstoff, bei dessen Verbrennung das Treibhausgas CO₂ entsteht, plötzlich der Heilsbringer für das Klima. Dabei werden wissenschaftliche Studien konsequent ignoriert, die zu dem Schluss kommen, dass Erdgas durch massive Methanemissionen entlang der Lieferkette sogar klimaschädlicher als Kohle ist.
Carbon Capture and Storage-Technologien (CCS), bei denen CO₂-Emissionen abgeschieden und gespeichert werden sollen, werden genutzt, um Erdgas als „nahezu klimaneutral“ zu vermarkten. Bemerkenswert dabei: Obwohl CCS-Technologien im Kontext fossiler Erdgasnutzung seit Jahrzehnten mit zahllosen misslungenen und nur einer Handvoll funktionierender Projekte zur Seifenoper des Scheiterns geworden sind, wird das Konzept noch immer als Legitimationsstrategie für den Weiterbetrieb klimaschädlicher Kraftwerke missbraucht.
Die irreführende Erzählung vom klimafreundlichen Erdgas steht sinnbildlich für die enormen Schäden, die eine profitorientierte Gaslobby verursacht: Sie gefährdet die Umsetzung der Energiewende – und damit letztlich auch das Klima –, indem sie dringend notwendige Innovationen im Ausbau von Wind- und Solarenergie blockiert. Gleichzeitig schafft sie fossile Abhängigkeiten und macht die Energieversorgung politisch wie wirtschaftlich erpressbar.
Ein zukunftsfähiges Energiesystem braucht Lösungen, um Schwankungen der erneuerbaren Energien auszugleichen und eine kontinuierliche Stromversorgung zu gewährleisten. Somit müssen Speicherlösungen wie beispielsweise Pumpspeicherkraftwerke, Großspeicheranlagen oder die Umwandlung in andere Energieträger – etwa Methanol oder Wasserstoff – etabliert werden. In einem kapitalistischen System zählt jedoch nicht, was ökologisch notwendig ist, sondern was sich finanziell auszahlt. Deshalb fließen Investitionen der Energiekonzerne – politisch flankiert und subventioniert – in Gaskraftwerke, während Speicherlösungen und Netzausbau weiter auf der Strecke bleiben.
Auch in Niedersachsen zeigt sich diese energiepolitische Schieflage deutlich: Zwar macht das Land beim Ausbau der Windenergie gute Fortschritte, doch der Ausbau des Stromnetzes für die Energiewende hinkt hinterher. Neue Gaskraftwerke – wie das geplante in Mehrum – erhalten dagegen volle politische Unterstützung. Sie werden als angeblich unverzichtbarer „Notanker“ angepriesen – etwa für Zeiten, in denen Wärmepumpen im Winter auf Hochtouren laufen und Solar- sowie Windstrom schwanken. Doch der Bau und Betrieb solcher Kraftwerke ist teuer und wirtschaftlich nicht rentabel, wenn sie tatsächlich nur als Reserve dienen sollen. Sie müssten demnach massiv subventioniert werden. Ist es da nicht viel wahrscheinlicher, dass es sich bei den geplanten Gaskraftwerken eher um fossil-kapitalistische Dauerlösungen handelt – also Investitionen in die Verlängerung des fossilen Zeitalters unter dem Deckmantel der Versorgungssicherheit? Dafür sprechen sowohl die energiepolitischen Kampfansagen der Energie- und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche gegen den beschleunigten Ausbau von Wind- und Solarenergie als auch die von der Bundesregierung angestrebten langfristigen Gaslieferverträge und geplanten Gasbohrungen vor Borkum oder am Ammersee in Bayern.
Eine bereits 2021 veröffentlichte Studie des Fraunhofer-Instituts zeigt: Die Stromgestehungskosten (Levelized Cost of Electricity, LCOE) für neu errichtete Solar- und Windkraftanlagen lagen schon damals auf dem Niveau oder sogar unterhalb der reinen Betriebskosten fossiler Kraftwerke. Mit fortschreitender technologischer Entwicklung werden die LCOE von Photovoltaiksystemen und Windkraftanlagen bis 2040 deutlich unter den durchschnittlichen Stromgestehungskosten aller fossilen Kraftwerke liegen. Auch eine Studie der Energy Watch Group – ein non-profit Netzwerk aus Wissenschaftler:innen und Parlamentarier:innen – in Kooperation mit der LUT-Universität (Finnische Technologie- und Wirtschaftsuniversität) belegt eindrücklich, dass ein Übergang zu erneuerbaren Energien weltweit nicht nur machbar, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Besonders deutlich zeigt sich das auch auf dem Arbeitsmarkt: Im betrachteten Szenario wird ein zu 100 % erneuerbares Energiesystem weltweit rund 35 Millionen Menschen beschäftigen. Die im Jahr 2015 noch bestehenden rund 9 Millionen Arbeitsplätze im weltweiten Kohlebergbausektor werden bis 2050 vollständig auslaufen und durch über 15 Millionen neue Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien mehr als kompensiert.
Solche Studien scheinen jedoch in politischen Debatten kaum eine Rolle zu spielen – oder besser gesagt: Sie stehen gar nicht erst zur Debatte. Warum auch? Solche Vergleiche könnten schnell aufdecken, welches Potenzial in erneuerbaren Technologien steckt und wie teuer uns die Verlängerung des fossilen Zeitalters letztlich zu stehen kommt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Vorteilen von Solar- und Windenergie würde also unweigerlich die großen Verlierer der Stunde entlarven: die Gaskonzerne. Und welcher Dämon lässt schon freiwillig einen Exorzismus über sich ergehen – erst recht, wenn er durch fette Profite an Macht gewinnt und den Exorzisten dank seiner infernalischen Allianz bestehend aus Regierung und Lobby längst im Würgegriff hat?
Eine echte Energiewende ist im Rahmen eines profitorientierten Systems zum Scheitern verurteilt. Deshalb braucht Energiepolitik auch Systemkritik. Für langfristige und nachhaltige Veränderungen müssen wir den Kapitalismus in Frage stellen – ein System, das auf Privateigentum, Konkurrenz und Profitmaximierung basiert, nicht auf demokratischer Kontrolle, Gemeinwohl oder ökologischer Verantwortung. Parteien und Regierungen sind tief verstrickt in Lobbyismus und Konzerninteressen und viele Abgeordnete kommunizieren lieber mit den Vorstandsetagen gewinnorientierter Unternehmen als mit der eigenen Bevölkerung, Umweltverbänden oder unabhängigen Wissenschaftler:innen.
Der notwendige Umbau unserer Energiestrukturen verlangt also mehr als technologische Innovationen: Er erfordert eine grundlegende gesellschaftliche Debatte über Eigentum, Macht und die demokratische Kontrolle existenzieller Lebensbereiche. Ohne die Enteignung von Energiekonzernen und eine demokratisch organisierte Energieversorgung droht die Energiewende zur grün lackierten Fassade des Kapitalismus zu verkommen – mit verheerenden Folgen für Klima, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit.
„Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets die Ideen der herrschenden Klasse“ (Marx/Engels, Kommunistisches Manifest). Die Vorstellung vom Kapitalismus als alternativloses System gehört dazu – ein Narrativ der herrschenden Klasse, das die bestehende Machtordnung legitimiert. Wer eine echte Energiewende will, muss dieses ideologische Konstrukt überwinden – im Interesse der lohnabhängigen Mehrheit und einer lebenswerten Zukunft.
Autor: Liv Bungardt
Hinweis: Dieser Beitrag stellt ausschliesslich die Meinung der*des Autor*in dar und muss nicht mit den Positionen der AKL Niedersachsen übereinstimmen.

