Niedersachsen im Überwachungsrausch: Fußfessel statt Sozialpolitik

Ein Beitrag von Ian Nadge

Bravo, Niedersachsen! Der Sicherheitsstaat darf sich jetzt mit Drohnen, Bodycams, Gesichtserkennung und elektronischen Fußfesseln wie ein futuristischer Polizeiroboter austoben. Wer hätte gedacht, dass man echte gesellschaftliche Probleme wie häusliche Gewalt oder Kriminalität so elegant lösen kann – einfach alles überwachen, tracken und piepen lassen. Funktionierende Prävention oder soziale Unterstützung? Ach was, wer braucht das schon, wenn Algorithmen „Gefahr“ erkennen. Willkommen in Niedersachsen, der realen Version von „Pre-Crime“ à la Minority Report (Steven Spielberg, 2002). Nur dass hier die „Precogs“ nicht hellsehen: Stattdessen sind es jetzt Drohnen über der Autobahn, Bodycams auf den Beamt*innen, Gesichtsscanner in der Fußgängerzone – und jeder Bürger wird zum Pre-Crime-Indikator.

Ja, richtig gelesen: Wer hektisch zur Arbeit hetzt, eine bestimmte Jacke trägt oder „verdächtig“ guckt, wird von den staatlichen Algorithmen gleich als potenzielles Risiko markiert. Die Niedersächsischen „Precogs“ sind nicht drei mystische Zukunftsseher, sondern jeder Einzelne von uns, der brav Daten liefert, damit Polizei und Behörden ihre statistische Vorhersage aufrechterhalten können. Wer noch nicht piept, darf sich glücklich schätzen – bis die Drohne das nächste Mal vorbei summt.

Die Anforderungen der Sicherheitsbehörden hätten sich verändert, betonte Innenministerin Daniela Behrens (SPD) am Dienstag in Hannover. Neu entstandene Bedrohungen – wie Spionagedrohnen über kritischer Infrastruktur – müsse die Polizei adäquat und konsequent bekämpfen können. Deshalb soll das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) an zahlreichen Stellen erweitert und verändert werden. Im Zentrum der Reform stünden neben der Abwehr von Drohnen auch der Einsatz von Gesichtserkennung und Bodycams sowie die Fußfessel für Gewalttäter.

Die geplante elektronische Fußfessel nach spanischem Modell ist der Gipfel der „Fürsorge“: Vermutliche Täter piepen brav, damit die Öffentlichkeit gewarnt wird, Sicherheitsorgane bekommen die Daten geliefert – und der Staat kann sich selbst auf die Schulter klopfen, weil er „Handlungsfähigkeit“ demonstriert. Ironischerweise geht es weniger um Schutz als um Show: Hauptsache, es sieht nach Aktivität aus.

Gesichtserkennung, intelligente Videoüberwachung, Drohnenabwehr – das volle Hightech-Glitzerpaket. Dass Menschen in Armut, sozialer Isolation oder Gewaltstrukturen gefangen sind, stört kaum. Freiheit, Privatsphäre oder Vertrauen in die Gesellschaft? Hauptsache, die Kamera läuft. Willkommen im Pre-Crime-Alltag Niedersachsens, wo die „Precogs“ jetzt Bodycams, Drohnen und elektronische Fußfesseln heißen. Statt Verbrechen vorherzusagen, melden die Bürger*innen als lebendige Indikatoren brav jede Abweichung vom Normalverhalten – und liefern so der Polizei die Illusion der Kontrolle. Wer zu spät zur Arbeit kommt, zu laut lacht oder nachts noch joggt, könnte morgen schon ein Fall für die Fußfessel sein.

Die Hauptprobleme des Gesetzes:

  1. Technologisierung statt Prävention:
    Gewalt entsteht oft aus sozialen Ursachen wie Armut, Perspektivlosigkeit, fehlender Bildung oder häuslicher Gewalt. Das Gesetz setzt stattdessen auf Überwachungstechnologien. Drohnen, Bodycams und Fußfesseln reagieren nur auf Symptome, sie beheben die sozialen Ursachen nicht. Es ist, als würde man den Precogs nur sagen, wer morgen in Not geraten könnte – aber die Lebensumstände ändern? Fehlanzeige.
  2. Ausbau staatlicher Macht:
    Technologien wie Gesichtserkennung, Bodycams, Drohnen und elektronische Fußfesseln geben der Polizei enorme Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten. Bewegungen, Aufenthaltsorte und Verhaltensmuster werden systematisch erfasst, Bürger*innenrechte beschnitten. Die Niedersächsischen „Precogs“ melden brav jede Abweichung vom vermeintlich normalen Verhalten – während die Demokratie am Rande zuschaut.
  3. Symbolpolitik statt echte Hilfe:
    Automatische Warnsysteme und Datenweitergabe vermitteln den Eindruck, dass der Staat aktiv Gewalt verhindert, tatsächlich ändern sie aber nichts an den Ursachen von Gewalt. Wie in Minority Report wird nur angezeigt, wer „gefährlich“ sein könnte – nur dass hier niemand die Chance bekommt, sein Schicksal zu ändern, weil Sozialarbeit fehlt.
  4. Fehlende demokratische Kontrolle:
    Die Reform wird vor allem von Behörden und Regierung vorangetrieben, die Bevölkerung hat kaum Mitspracherecht. Entscheidungen über den Einsatz massiver Überwachungstechnologien werden top-down getroffen, demokratische Kontrolle bleibt ein frommer Wunsch.
  5. Stigmatisierung und soziale Kontrolle:
    Biometrische Überwachung, elektronische Fußfesseln und Gesichtserkennung treffen besonders marginalisierte Gruppen. Sie werden stärker überwacht, bestehende soziale Ungleichheiten verschärft – und die Niedersächsischen „Precogs“ zeigen ihnen gnadenlos ihre potenzielle „Gefährlichkeit“.

Und die CDU hetzt schon, weil es nicht schnell genug geht. Sicherheit als Produkt, Überwachung als Dienstleistung, Menschenrechte als optionales Zubehör – der Kapitalismus schlägt wieder zu. Am Ende applaudieren die Opferhilfeorganisationen zaghaft, weil ein bisschen Datenschutz für Täter aufgehoben wird. Der Staat liefert ein modernes Alibi: Wir tun etwas, sehen dabei gut aus – und ändern rein gar nichts an den sozialen Ursachen von Gewalt.

Unsere Forderungen:

  • Echte Prävention statt Hightech-Überwachung: mehr Sozialarbeit, psychologische Betreuung und Bildung für gefährdete Gruppen.
  • Abbau sozialer Ungleichheiten und Armut, die Gewalt erst hervorbringen.
  • Stärkung von Frauen- und Opferrechten durch gesellschaftliche Unterstützung, nicht Überwachungsinstrumente.
  • Keine biometrische Totalüberwachung, keine Drohnen und keine Fußfesseln als Standardlösung.
  • Demokratische Kontrolle der Polizei durch die Bevölkerung, nicht nur Lobbyverbände.

Willkommen im Niedersächsischen Überwachungszirkus? Nein, nicht mit uns!

Wir fordern eine Gesellschaft, in der Sicherheit nicht aus Kameras, Algorithmen und Gummifesseln besteht, sondern aus Solidarität, Gerechtigkeit und sozialen Rechten.

Autor: Ian Nadge

Hinweis: Dieser Beitrag stellt die Meinung der Autor*in dar und muss nicht mit den Positionen der Antikapitalistischen Linken Niedersachsen übereinstimmen.

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